Legasthenie und intellektuelle Hochbegabung
Kinder können sowohl mit einer Lese- und/oder Rechtschreibstörung leben als auch gleichzeitig in gewissen Lernbereichen hochbegabt sein. Sie sind zweifach aussergewöhnlich, haben sie doch aussergewöhnliche Talente sowie spezielle Lern- und Leistungsprobleme. Viele von ihnen fallen in der Schule nicht auf als Lernende mit speziellen Begabungen und/oder speziellen Bedürfnissen.
- Bei einem Teil von ihnen werden die Leistungen schlechter, wenn im anspruchsvollen Niveau der Oberstufe oder in der Mittelschule Arbeitstempo und Stoffmenge zunehmen und es nicht mehr gelingt, die Lese- oder Rechtschreibprobleme zu kompensieren. Manchmal wird der Abfall der Leistungen mit «Faulheit» erklärt und die Lese- Rechtschreibproblematik wird nach wie vor nicht erkannt.
- Bei einem anderen Teil der Betroffenen werden zwar die Lese- und/oder Rechtschreibprobleme erkannt, nicht aber die Begabungen. Diese Kinder fühlen sich in Teilen des Unterrichts gelangweilt, was zu Frustrationen, Aggressionen oder depressiver Verstimmtheit führen kann.
- Werden weder Lese- und/oder Rechtschreibprobleme erkannt noch die überdurchschnittlichen intellektuellen Begabungen, besteht die Gefahr, dass sich die Kinder in vielen Teilen des Unterrichts nicht angesprochen fühlen. Wenn es um Lesen und Rechtschreibung geht, können sie mit den Gleichaltrigen nicht immer mithalten. In anderen Teilen des Unterrichts fühlen sie sich gelangweilt. Neben den bei den anderen Gruppen beschriebenen Folgen kann die Situation bei dieser dritten Gruppe zusätzlich zu sozialer Isolation führen.
Auch ohne Hochbegabung ist es für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Legasthenie eine Herausforderung, mit ihren Schwächen und Stärken umzugehen. Die meisten Bildungsgänge sind auf Lernende mit ausgeglichenerem Begabungsprofil ausgerichtet.
Wie können zweifach aussergewöhnliche Lernende unterstützt werden?
Diese Konstellation von ausgeprägten Stärken und Schwächen kann dazu führen, dass sich die Lernenden auf ihre Stärken konzentrieren und den Schwierigkeiten aus dem Weg gehen. Passende Lernumgebungen berücksichtigen deshalb sowohl die Stärken wie die Schwächen und sind geprägt von einer ressourcenorientierten Haltung. Zu beachten ist ausserdem die Notwendigkeit, dass zweifach aussergewöhnliche Lernende die notwendigen Lernstrategien und Selbststeuerungskompetenzen entwickeln.
- In den Schulen und Bildungsgängen: Ausrichten der Bildung auf eine heterogene Gruppe von Lernenden, Abbau von unnötigen Anforderungen und Hürden, Verbesserung des Erkennens von Legasthenie und intellektueller Hochbegabung, passende Fördermassnahmen sowie Nachteilsausgleich.
- Bei der Abklärung: Die Diagnose Lesestörung und/oder Rechtschreibstörung sollte auch dann gestellt werden, wenn durch überdurchschnittliche Intelligenz die Leistungen im Lesen oder bei der Rechtschreibung im unteren Normbereich gehalten werden können (vgl. AWMF-Registernummer 028-044).
- Eltern können dafür sorgen, dass ihre intellektuell hochbegabten Kinder Zugang zu Wissen erhalten, an dem sie interessiert sind. Hörbücher, Videos und E-Books erlauben es, sich voll auf den Inhalt zu konzentrieren, wenn eine stark reduzierte Leseflüssigkeit den Zugang zu Wissen auf einem höheren Niveau beeinträchtigt. Auch Hilfsmittel wie unterstützende Technologien (Vorlese-Apps, Rechtschreibprogramm, Speech-to-Text-Software) können helfen, Defizite im Lesen und Schreiben auszugleichen. Für ältere Schülerinnen und Schüler sind Englischkenntnisse (Text- und Hörverständnis) wichtig, da das Angebot an Informationen in Englisch sehr gross ist. Englischkenntnisse lassen sich ergänzend zur Schule auch mit Lernangeboten im Internet und z.B. mit wiederholendem Sehen von Filmen auf Englisch erweitern.
Auch der Kontakt zu anderen intellektuell Hochbegabten kann hilfreich sein – etwa über das Netzwerk Begabungsförderung